Wenn Sie sich mit Hypnose beschäftigen, dürfte Ihnen Stephen Gilligan ein Begriff sein.
Stephen ist nicht nur wichtiger Teil der frühen NLP-Bewegung in Santa Cruz, sondern vor allem bekannt als geistiger Sohn Milton H. Ericksons. Und das aus gutem Grund: Schon im zarten Alter von 19 Jahren durfte er den Großaltmeister der Hypnose kennenlernen und hat ihn – bis ans Ende seiner Lebenskarriere im Jahre 1980 hin – wohl so intensiv studiert wie kaum ein anderer. Wer also selbst nicht das große Glück hatte, den Meister live in Action erleben zu dürfen – der wird bei Gilligan bestimmt fündig!
Aktuell befinde ich mich in einer knapp einjährigen Fortbildung, die Gilligan gemeinsam mit Robert Dilts wuchtet (ja, genau – DER Dilts, ebenfalls NLP-Urgestein). Und wie das bei Seminaren so üblich ist, gibt es immer wieder Augenblicke, in denen man kurz innehält und sich über einen neuen “Schatz” freut, der die eigene Arbeit bereichert, der inspiriert und auch den eigenen Aus- und Weitblick maßgeblich mit beeinflusst.
So geschehen als Gilligan erzählte, dass es bei Erickson zum Ende seiner Laufbahn hin ziemlich wild abging. Und zwar mit lernwilligen Schülern, die aus der ganzen Welt hin ins wüstenheiße Phoenix, Arizona, gereist sind, um ein paar Tage mit dem Meister persönlich verbringen zu dürfen. Welche Ehre! Und welche tolle Chance, Erickson höchstpersönlich ein paar Fragen stellen zu dürfen …
Klar, dass man da erst einmal fragt, was einen persönlich-beruflich derzeit am meisten beschäftigt. Ein Klassiker dabei: “Wie kann ich XYZ mit Hypnose behandeln?” Wobei Sie XYZ mit jedem beliebigen Symptom ersetzen dürfen, das das Spektrum der Heilkunde und Psychopathologie so herzugeben hat.
Und natürlich haben die Schüler stets mit einer meisterhaften, präzise formulierten und ausgeklügelten Antwort gerechnet. Ericksons Antwort aber?
“I have absolutely no idea … [Pause] …
… but I’m curious. “
Also in etwa: “Ich habe keine Ahnung … aber bin sehr neugierig … ” (auf was? Zack – Milton Modell!)
Ganz großes Kino! Damit hat Erickson in wenigen Worten seine gesamte therapeutische Grundhaltung zum Ausdruck gebracht! Fast schon unnötig, diese überaus geniale Antwort zu kommentieren – aber ich versuch’s trotzdem:
- Nein, es gibt kein Schema F – zumindest kein universell wirksames
- Gute therapeutische Haltung schlägt (nur vermeintlich) gute Methode – jedesmal!
- Neugier – offen sein, die Antennen auf die Bedürfnisse des Klienten ausrichten – ist der beste Therapeut
Dilts hat dem noch beigefügt, dass Erickson wohl immer so zu arbeiten pflegte. Dem Klienten begegnen, schauen, was sich entwickelt – aber doch bitte ohne Vorannahmen in die Hypnose-Sitzung gehen, und schon gar nicht mit einer vorformulierten Methode.
Auch, wenn einem der Personenkult um Erickson streckenweise fast schon ein wenig zuwider scheinen mag, so hat dieser Mann (fast) im Alleingang unglaublich viel für die Hypnose geleistet. Schade, dass ich ihn nicht mehr live erleben durfte – aber als Milton starb, war ich gerade mal zarte zwei Jahre alt. Toll jedoch, dass man heute zumindest von seinen engsten Schülern lernen kann und darf.
Übrigens: Auch, wenn ich Erickson nicht persönlich erleben durfte, so habe ich 2013 zumindest mal die Stätte seines Wirkens besuchen dürfen. Sein Privathaus, in der er auch seine Sitzungen gab (und seine Trainings durchführte), steht nämlich immer noch im Hayward Boulevard, Phoenix, Arizona. Dort hatte ich die Ehre, mich mehrere Stunden mit einem seiner Söhne austauschen zu dürfen – Robert. In diesem Falle nicht der “geistige” Sohn Robert Dilts, sondern ein waschechter Robert Erickson (siehe Foto, im Garten Ericksons entstanden). Eine grandiose Erfahrung, die mir nochmal viel mit auf den Weg gegeben hat.
Also: Wer auf alles eine Antwort hat, hat vermutlich auf Weniges eine Lösung. Kreativität entsteht dann, wenn auch Raum dafür geschaffen wird – und wer seine eigene therapeutische Denke mit tausenden von Vorannahmen zumüllt, wird vermutlich nur wenig Platz für kreativ-therapeutische Reflektion haben.